Wie kann Vertrauen zwischen Menschen und Maschinen hergestellt werden? Fragen wie diese behandelt die Dialogreihe „FutureInsight“ von Mercedes-Benz.
Stuttgart/Berlin –Wie sieht eine wünschens- und lebenswerte Zukunft aus? Wie lassen sich Individualität und digitale Transformation miteinander vereinbaren? Wie kann Vertrauen zwischen Menschen und Maschinen hergestellt werden? Fragen wie diese behandelt die Dialogreihe „FutureInsight“ von Mercedes-Benz. Dabei diskutieren Mercedes-Benz Experten mit Wissenschaftlern, Künstlern, Medienvertretern und Fachleuten aus den unterschiedlichsten Bereichen Zukunftsfragen rund um das Thema Mobilität. Das Ziel besteht darin, Impulse und Denkanstöße zu gewinnen und in die eigene Arbeit einfließen zu lassen. Beim FutureInsight am 21. und 22. November in Berlin lag der Fokus auf den Themen Empathie und Vertrauen.
Das Thema „Digitale Transformation“ ruft bei vielen Menschen ein diffuses Gefühl zwischen Faszination und Verunsicherung hervor. Faszination, weil digitale Technologien komplexe Tätigkeiten drastisch vereinfachen können, erstaunliche Lösungen finden und einzigartige Chancen bieten. Verunsicherung, weil Zukunftsvisionen von der vollständigen Automatisierung wenig Platz für menschliche Individualität und Handlungsfähigkeit zu lassen scheinen.
„Wir bei Mercedes-Benz sind davon überzeugt, dass sich die digitale Transformation nur dann erfolgreich gestalten lässt, wenn sie tief in der Gesellschaft verankert ist. Im Mittelpunkt einer digitalen Transformation müsse der Mensch und der Zugang zu den Daten stehen“, sagt Jasmin Eichler, Leiterin Forschung Future Technologies, Daimler AG. „Auch im Bereich der Digitalisierung arbeiten wir daher an Lösungen, die die Freiheit, die Entscheidungshoheit und die Individualität der Menschen ins Zentrum stellen. Unser Ziel ist es, eine Balance zwischen Menschen und Technik herzustellen. Der Ansatz, den wir dabei verfolgen, lautet „ Human first“.“
Da die Fragestellungen an eine digitale Transformation vielfältig sind, setzt Mercedes-Benz auf „Open Innovation“. Akteure aus den unterschiedlichsten Branchen – Wirtschaft, Forschung, Kunst, Industrie oder Biologie – werden zu gemeinsamen Forschungszwecken vernetzt. Dabei entstehen Projekte, die die Frage nach der Zukunft der Mobilität aus neuen Perspektiven betrachten und außergewöhnliche Lösungsansätze produzieren. Einige dieser Netzwerk-Projekte stellte Mercedes-Benz beim FutureInsight in Berlin vor.
Eine Zukunft mit autonomen Fahrzeugen
Wie stellen wir Vertrauen zwischen Menschen und Maschinen her? Ein wesentlicher Baustein unserer Zukunft wird das autonome Fahren sein. Bei dem Thema betrachtet Mercedes-Benz Empathie und Vertrauen als zentrale Faktoren für das Gelingen und die Akzeptanz der Transformation. Große Bedeutung nimmt dabei der Begriff des „ Informierten Vertrauens“ ein: „Menschen müssen schnell und zuverlässig einschätzen können, was ein autonomes Fahrzeug als nächstes tun wird. Das Fahrzeug muss daher in einer Art und Weise über seine Absichten informieren, die der Mensch unmittelbar und intuitiv erfassen kann.“, so Alexander Mankowsky. Anhand dieser Informationen soll der Mensch entscheiden können, wie er selbst handeln und auf die jeweilige Situation reagieren möchte. Zu diesem Zweck hat Mercedes-Benz beim FutureInsight unter anderem Konzepte für ein „Kooperatives Fahrzeug“ vorgestellt. Projekte mit externen Akteuren zeigen weitere Möglichkeiten, wie zukünftige autonome Fahrzeuge mit ihrer Umwelt kommunizieren und zusammenarbeiten können.
Das kooperative Fahrzeug – Intuitiv erkennen, was das Auto vorhat
Das kooperative Fahrzeug auf Basis einer S-Klasse verfügt über eine 360-Grad-Lichtsignalisation. Türkise Leuchtbänder in der Windschutzscheibe, im Kühlergrill, in den Scheinwerfern, den Außenspiegeln und im unteren Bereich der Scheiben markieren den autonomen Fahrmodus und informieren so Passanten und den umliegenden Verkehr, dass das Fahrzeug eigenständig unterwegs ist. Leuchten auf dem Dach geben Auskunft über die nächsten Handlungen, die das Fahrzeug unternehmen wird. Langsames Blinken bedeutet, dass das Fahrzeug abbremst. Ein stationäres Licht zeigt, dass das Fahrzeug im autonomen Fahrmodus ist, unabhängig ob es fährt oder steht. Die Lichter auf dem Dach verfolgen zudem die Bewegungen von Menschen am Straßenrand und an der Front, um ihnen zu signalisieren, dass sie vom Fahrzeug wahrgenommen wurden. Das Kooperative Fahrzeug empfindet dabei den natürlichen Blickkontakt nach, der zwischen Fahrer und Fußgänger ablaufen würde. Mit schnellem Blinken kündigt es an, dass es in Kürze losfahren wird.
Die kooperative S-Klasse informiert ihre Umwelt auch, bevor sie den Betrieb aufnimmt während sie noch am Straßenrand steht. Die Lichtbänder rund um das Fahrzeug erzeugen ein entsprechendes Lichtsignal. Die Außenspiegel klappen aus, zunächst heben sich das Heck und schließlich die Front des Fahrzeugs. Diese Bewegungen erinnern an ein Lebewesen, das aufwacht und sich räkelt. Das macht die Kommunikation für den Menschen intuitiv erfassbar.
Studie zeigt: Fußgänger wünschen sich 360-Grad-Kommunikation in Türkis
Der 360-Grad-Lichtsignalisation kommt bei der Information von Fußgängern eine besondere Bedeutung zu. Das ergaben mehrere Lichtstudien, die Mercedes-Benz unter der Leitung von Stefanie Faas aus dem Bereich Innowerkstatt eigens auf dem Testgelände in Sindelfingen sowie am kürzlich neu eröffneten Standort Immendingen durchgeführt hat. Dabei wurde erforscht, wie Fußgänger in verschiedenen Verkehrssituationen auf unterschiedlich gekennzeichnete autonome Fahrzeuge reagieren. Es wurde deutlich, dass die Lichtsignalisation sich entscheidend auf die Akzeptanz autonom fahrender Fahrzeuge sowie auf das Sicherheitsgefühl der Fußgänger auswirkt. Insbesondere in Situationen, in denen bisher eine Interaktion mit dem Fahrer stattgefunden hat, wünschen sich Menschen eine Lichtsignalisation. Menschen sind es zum Beispiel gewohnt, Blickkontakt mit dem Fahrer zu suchen, wenn sie eine Straße überqueren möchten. Wird mittels Lichtsignalen kommuniziert, dass sich ein Fahrzeug im autonomen Fahrmodus befindet, kann sich der Fußgänger auch dann sicher fühlen, wenn die Insassen offensichtlich nicht auf das Verkehrgeschehen achten. Die Mehrheit der Teilnehmer der Studie bevorzugten Türkis als Signalisationsfarbe, alle Teilnehmer sprachen sich für eine 360-Grad-Anzeige aus. Die Ergebnisse der Studie bringt Mercedes-Benz zum Thema „Autonomes Fahren“ auch in die SAE International ein, eine internationale Organisation, die sich dem Fortschritt der Mobilitätstechnologie widmet. Dort empfiehlt Mercedes-Benz die Verwendung der im Automobilbereich bisher nicht genutzten Farbe türkis, um eine 360°-Signalisation zu ermöglichen.
Zukunftsvisionen: Die Karosserie als Kommunikationsmittel
Über die Studien und die anhand des Kooperativen Fahrzeugs gezeigte Lichtsignalisation hinaus beschäftigt sich Mercedes-Benz bereits mit weitergehenden Visionen, die ein „Informiertes Vertrauen“ zwischen Mensch und Maschine ermöglichen sollen. Informiertes Vertrauen steht dabei im Gegensatz zum blinden Vetrauen und verlangt eine gewisse Kenntnis des Gegenstandes. Dabei wird die gesamte äußere Fahrzeughülle zum Kommunikationsmedium für eine 360-Grad-Kommunikation. Die klassische Karosserie verwandelt sich in ein „Digital Exterieur“.
Einen ersten Schritt in diese Richtung hatte Mercedes-Benz bereits 2015 mit dem Forschungsfahrzeug F 015 gezeigt. Dieses verfügt unter anderem über einen digitalen Grill, der als Kommunikationsmedium genutzt werden kann. Dieses Motiv griff im Jahr darauf auch der Vision Van auf, ein elektrisch-betriebener Transporter mit integrierten Lieferdrohnen für die Paketzustellung auf der letzten Meile. Dieser ist mit digitalen LED-Grills an Front und Heck ausgestattet. Darüber kann das Fahrzeug zum Beispiel den nachfolgenden Verkehr mit Botschaften wie „Fahrzeug hält“ warnen. 2018 führte der Vision URBANETIC, ein Mobilitätskonzept für eine bedarfsgerechte effiziente und nachhaltige Mobilität, dieses Motiv weiter. Das Konzept aus einer autonomen Fahrplattform mit wechselbaren Modulen für den Gütertransport und die Personenbeförderung kann über ein „digitales Shadowing“ auf der Karosserie mit seiner Umwelt kommunizieren. Dort erscheint zum Beispiel der Schatten eines Fußgängers, wenn die 360-Grad-Sensoren des Fahrzeugs ihn in unmittelbarer Nähe wahrgenommen haben. Der Fußgänger kann sich aufgrund dieser Interaktion sicher sein, dass er erkannt wurde und entsprechend handeln. Aufbauend auf diesen Innovationen arbeitet Mercedes-Benz nun an weiteren Lösungen, die Fahrzeuginsassen und Passanten die gleichen Informationen über die Wahrnehmungen und nächsten Handlungen des Fahrzeugs bereitstellen. Zudem sollen die Fahrzeuginsassen darüber entscheiden können, was das Fahrzeug nach außen kommuniziert, um einen Cocooning-Effekt im Fahrzeug zu ermöglichen, durch den das Fahrzeug für seine Passagiere zu einem geschützten Raum wird.
Groove – Interaktion über reaktive Oberflächen
Das Projekt „Groove“ – eine Zusammenarbeit zwischen Mercedes-Benz und den Designern des Studio 7.5 Berlin – untersucht das kommunikative Potential reaktiver Oberflächen und legt den Fokus ebenfalls auf die Kollaboration zwischen Menschen und autonomen Fahrzeugen. Sie entwickelten eine bewegliche, steuerbare Membran, die ähnlich wie eine Seeanemone die Umwelt wahrnimmt und auf sie reagiert. Ziel des Projekts ist es, diese Ausdrucksmöglichkeiten zu nutzen, um Prozesse und Intentionen eines autonomen Systems an die Umwelt zu übermitteln. Dadurch soll die Interaktion zwischen Mensch und Maschine verbessert werden.
Polygon – Unterschiedliche Dimensionen von informiertem Vertrauen anhand von Animationen
In Zusammenarbeit mit dem japanischen Animationsstudio Polygon Pictures hat Mercedes-Benz Animationen unterschiedlicher Szenarien entworfen, in denen autonome Fahrzeuge informiertes Vertrauen mit Menschen herstellen könnten. Der Grundgedanke dabei: Bei der Gestaltung von Animes wird mit wenig Strichen viel Emotion ausgedrückt. Die Kernfrage, mit der sich das Projekt beschäftigt lautet daher: Wie kann man diese Grundprinzipien für eine intuitive Kommunikation zwischen Mensch und Maschine nutzen?
Antworten darauf liefert unter anderem das Szenario „AICAR“, das ein autonomes Fahrzeug als einen animierten Charakter zeigt. Neben einer Lichtsignalisation, die über Situationen wie Anhalten, Losfahren oder Abbiegen informiert, verfügt das Fahrzeug über verschiedene Kommunikationsfeatures, die Emotionen ausdrücken können.
Im Zentrum eines zweiten Szenarios steht der Augenkontakt. Studien haben ergeben, dass Menschen auch zu autonomen Fahrzeugen intuitiv den Augenkontakt suchen. Um dieses Verhalten für ein funktionierendes Zusammenspiel von Mensch und Maschine zu nutzen, hat Polygon Pictures ein stilisiertes Augendesign für autonome Fahrzeuge entworfen. Darüber können bevorstehende Aktionen des Fahrzeugs moderiert und für den Menschen intuitiv erfassbar gemacht werden.
Ein drittes Szenario unter dem Titel „AIMY“ nähert sich demselben Motiv auf eine etwas abstraktere Weise. Darin kommuniziert das Fahrzeug über einen Targetpointer mit seiner Umwelt. Dieser Targetpointer besteht aus optischen Signalen wie Kreuzen oder Strahlen, die Aktionen wie Abbiegen, Beschleunigen oder Bremsen ankündigen.
„See like a pony“ – Der Wahrnehmungsapparat von Tieren als Vorbild
Das Projekt „SLAP – See like a pony“ von Sabine Engelhardt aus dem Bereich Future Technologies bei der Daimler AG, betrachtet die Interaktion zwischen Mensch und Maschine aus einer besonders ungewöhnlichen Perspektive. Sie ergründet, wie Ponys ihre Umwelt wahrnehmen und leitet daraus Rückschlüsse für die Kommunikation zwischen Menschen und autonom fahrenden Autos ab. Der Ursprung dieses Ansatzes stammt von Stanford-Professor Clifford Nass. In einem seiner Vorträge verglich der Soziologe autonom fahrende Autos mit domestizierten Tieren: Ihr Verhalten ist in einem gewissen Maße vorhersagbar, es gibt jedoch auch für den Menschen nicht vorhersehbare Handlungen. Zudem funktioniert die Kommunikation zwischen Mensch und Tier vornehmlich intuitiv über Körpersprache – ähnlich, wie dies zwischen Mensch und Maschine vonstatten gehen könnte. Gleichzeitig können weder Tiere noch Maschinen menschliche Handlungen zu 100 Prozent vorhersagen und verstehen. „SLAP“ versetzt die Forscher mithilfe von Kameras in die Lage, die Welt aus der Sicht eines Ponys zu sehen, und lässt sie an der Art und Weise lernen, wie sie sich gegenüber Menschen verhalten. Ein bekanntes Beispiel: Pferde zeigen durch die Ausrichtung ihrer Ohren Aufmerksamkeit an. Dieses Wissen um die Aufmerksamkeit hilft erheblich im Umgang mit den Tieren. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auf das Design und die Technologie selbstfahrender Autos übertragen, indem deren sensorische Aufmerksamkeit nach außen sichtbar und damit nachvollziehbar gemacht wird.
Maya Ganesh – Die Ethik autonomer Fahrzeuge
Die Forscherin und Autorin Maya Ganesh betrachtet das Thema Empathie im Kontext der Mobilität der Zukunft aus der Meta-Perspektive. Sie beschäftigt sich mit der Ethik autonomer Fahrzeuge. In ihrem Vortrag „Insight on Ethics; Society & AI“ setzt sie sich mit unterschiedlichen Dimensionen von Ethik in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine auseinander. Dabei befasst sie sich unter anderem mit der Frage, ob ein autonomes Fahrzeug tatsächlich als „autonom“ betrachtet werden kann – ob man es also tatsächlich als ein „Wesen“ verstehen kann, das über Intelligenz, Bewusstsein, sinnliche Wahrnehmung und freien Willen verfügt. Gleichzeitig stellt sie die Frage, warum Menschen davon ausgehen, dass alles Intelligente auf menschlicher Intelligenz fußen muss, die selbst ein willkürlicher und schwankender Maßstab ist und ob es sinnvoll ist, menschliche Standards an die Beurteilung von Maschinen zu setzen. Auf Basis dieser Fragestellungen argumentiert sie für eine neue Klassifizierung der Beziehungen zwischen Mensch und Maschine – ob Hybride, Cyborgs oder Automaten – und damit einhergehend für eine Neubewertung von ethischen Maßstäben hinsichtlich ihrer Interaktion.