Reportage: Zypern von beiden Seiten

Zusammen mit Aarhus in DĂ€nemark ist die Stadt Paphos auf Zypern europĂ€ische Kulturhauptstadt 2017. Dass es auf der Mittelmeerinsel aber nicht nur reichlich Kultur, sondern auch vorzĂŒgliche Trails zum Biken gibt, haben pressedienst-fahrrad-GrĂŒnder Gunnar Fehlau und sein langjĂ€hriger Tourenbegleiter Walter Lauter auf einer Bikepacking-Tour herausgefunden. Eine Reportage ĂŒber Offroad-Biken auf einer Insel, auf der das aufgrund der hohen MilitĂ€rprĂ€senz gar nicht so einfach ist.

[pd-f/gf] Das ist die Ausgangslage, die Walter und mich Anfang September in einen Flieger Richtung Zypern steigen lĂ€sst. Mit dabei: mein 29-plus-Reise-MTB und Walters nagelneuer „Finder“ von Velotraum (Custom-made-Aufbau, Grundpreis ab 2.440 Euro). Dazu unsere Biwak-AusrĂŒstung und der Plan, in einer großen Schleife einmal ĂŒber die Insel zu touren.

Erster Eindruck: ÜberfĂŒllt und unterkĂŒhlt

„So ein Scheiß!“, fluche ich leise in mich hinein und weiß, dass Walter genauso denkt. Seit gut einer Stunde zieht unser Flieger Kreise, nördlich von Zypern ĂŒber dem Mittelmeer. Irgendwie stockt es – und wir sind hinterm Zeitplan. Dann die Durchsage des Piloten: Wir werden wegen eines Sandsturms nicht wie geplant in Larnaka, sondern in Paphos landen. Statt einem gemĂŒtlichen Willkommensbier in einer Strandbar heißt es nun umsteigen – in einen ĂŒberfĂŒllten und unterkĂŒhlten Überlandbus. 140 kurvige Kilometer quer ĂŒber die Insel. Anschließend nochmals eine quĂ€lende Wartezeit, bevor wir unsere RĂ€der entgegennehmen können. Es ist bereits halb fĂŒnf, als wir vom Flughafen rollen, nachdem wir dort die Radkartons, geschĂŒtzt in MĂŒllsĂ€cke verpackt, in einer Böschung bei den Langzeitparkern versteckt haben.

Erste Meter: halbstark und halbblind

Bild: “150908-0034-gf-zy-p9100094_web.jpg” – Quelle/Source [ÂŽwww.pd-f.de / Gunnar FehlauÂŽ]
Die ersten Meter sind zĂ€h. Die Glieder sind steif, die Lunge hat wenig Hub und die Sicht ist trĂŒb. Das ist aber kein Nebel, wie wir ihn kennen, sondern feinster Saharasand. Er setzt mir ordentlich zu. Ich fahre, als hĂ€tte ich nur ein Bein, nur einen LungenflĂŒgel und nur ein Auge: Langsam, keuchend und ein wenig im Blindflug. Zudem kochen mich die 39 Grad seit der ersten Minute gar. Vom Flughafen weg geht es auf großen Straßen. Schnell sind wir im StĂ€dtchen Dromolaxia und die erste Tankstelle ist meine. Ich ziehe mir zwei eiskalte Dosen Cola rein und es perlt kalt bis in den kleinen Zeh hinunter. Ein klimatisches Gegengewicht zum glĂŒhenden Saharasand auf der schweißnassen Haut. Doch die Coke-KĂŒhlung verpufft wie ein Tropfen Wasser auf einer heißen Herdplatte. Mich beschleicht der Gedanke, dass Zypern im September fĂŒr mich eine ganz, ganz dumme Idee ist. „Fahrtwind hilft immer“, denke ich und trete wieder in die Pedale. So versuche ich auf den nĂ€chsten Metern eine Balance aus Antritt und KĂŒhlung zu finden. Zu dumm, dass es stetig bergauf geht.

Drei K zum Abend: Kornos, Kebab, Krise

Bild: “150908-0014-gf-zy-p9110351-s-ef_web.jpg” – Quelle/Source [ÂŽwww.pd-f.de / Gunnar FehlauÂŽ]
Bei den Temperaturen hĂ€tten wir fast vergessen, dass die Tage bereits kĂŒrzer werden. So ĂŒberrascht uns die Dunkelheit etwas, als wir ĂŒber eine Autobahn hinweg in die kleine Ortschaft Kornos radeln. Viel Zeit und Gelegenheit, uns an die mediterrane AtmosphĂ€re zu gewöhnen, hatten wir noch nicht. Was sich bei Reiseprospekten und Mare-Reportagen direkt in die sentimentalen Will-ich-unbedingt-hin-Areale des Hirns einbrennt, entfaltet sich hier frei von durchgestylter Pseudo-Schönheit in all seiner Ehrlichkeit und damit auch HĂ€sslichkeit, die Walter und mich verstört. Die EU-Finanzkrise ist greifbar. Zwar gilt Zypern als eines der MusterlĂ€nder und konnte Anfang 2016 nach nur drei Jahren den EU-Rettungsschirm verlassen, aber man kann die erdbebengleiche Zerstörung des Alltags immer noch sehen, hören, schmecken und unmittelbar fĂŒhlen. Die Hauptstraße ist von kleinen GeschĂ€ften, Restaurants und Bankfilialen gesĂ€umt – von denen zwei Drittel offenkundig erst vor kurzem dichtgemacht haben. GeschĂ€ftstreibende, denen die Krise noch nicht den Garaus gemacht hat, haben ihr Angebot und die WarenprĂ€sentation auf die ZahlungsfĂ€higkeit des Publikums angepasst. Tristesse aus Dosenbier, einfachem Döner und selbstgedrehten Zigaretten. Hier werden keine Einhörner geboren, hier wird letzter Lebensstolz gebrochen. Schwer verdaulich fĂŒr uns beide. Was ĂŒbrigens nicht fĂŒr den Kebab gilt. Der ist herrlich und das zypriotische Bier passt gut dazu. Wir sind satt und froh, diese bröckelnde Zivilisation wieder zu verlassen. Unser Nachtlager schlagen wir auf den großen Tischen einer Picknickanlage nahe eines Pfadfinderlagers auf – leider unweit der Autobahn. Super sind die WasserhĂ€hne und die gerĂ€umigen, sauberen Behindertentoiletten. Ätzend dafĂŒr die Lkw. Die Nacht ist kurz, heiß und laut. Urlaubsentspannung sieht anders aus.

Hallo Berge, adé!

„Heute wird es besser, wir fahren in die Berge, da wird es kĂŒhler und die BĂ€ume bieten Schatten,“ meint Walter, als mir beim FrĂŒhstĂŒck bereits die Schweißperlen ĂŒber die Stirn rinnen. Wenig spĂ€ter schieben wir einen kahlen HĂŒgel hinauf: Zu steil zum Fahren, zu heiß fĂŒr jegliche schattenspendende Vegetation. Es ist kaum neun Uhr, aber das ist egal. Es sind schon deutlich ĂŒber 30 Grad, das ist ĂŒberhaupt nicht egal. Gerade kĂ€mpfen wir uns den dritten 500er oder 600er hinauf: Steile und schroffe Anstiege, Schatten Fehlanzeige. Wir erreichen das Kloster Profitis Helias und gewinnen auf dem Wanderweg E4 schnell weiter an Höhe. Und an Einsicht. Strecke und Temperatur passen nicht zu unserem Zeitplan: 870 Kilometer GelĂ€nde in einer Woche sind unter diesen Bedingungen nur im Rennmodus, das heißt ohne Kultur- und Fotopausen, mit Boxenstopps statt kulinarischem Genuss und auch nur mit Fahrten bis in die Dunkelheit machbar. Wollen wir uns diesem Anspruch anpassen oder passen wir die Route den Gegebenheiten an? Wir beschließen, die Frage einen Moment sacken zu lassen.

Angesichts des schmalen, steilen und schwierigen Trails haben wir ohnehin keinen Kopf fĂŒr diese Gedanken. Dass sich die Sache zĂ€her als erwartet gestaltet, hat zumindest nichts mit der Technik zu tun. Die dreizölligen „Rocket-Ron“-Reifen von Schwalbe (32,90–57,90 Euro) geben den ungefederten Bikes auch auf grobem Schotter viel Komfort und Kontrolle. Wir haben beide die „GX 2×11“-Schaltung von Sram mit 24/42 als leichtestem Gang. Damit ist flĂŒssiges Treten auch in Schrittgeschwindigkeit drin. Als der E4 nach kurzer Überschneidung mit einem breiten Waldweg wieder in bester Singletrack-Manier steil in die Machairas-Berge verschwindet, ist unsere Entscheidung gefallen. Ich kenne Walter seit vielen Jahren und so kann ich seinen Blick sofort einschĂ€tzen. Ohne Worte ist klar: Wir bleiben auf dem breiten Waldweg. Schweigend rollen wir dem kurvigen Weg folgend talwĂ€rts. Das Tal wird enger, BĂ€ume sĂ€umen den Weg, ein plĂ€tschernder Bach sprĂŒht einen Hauch Feuchtigkeit in die flirrende Vormittagssonne. Zum ersten Mal auf dieser Tour baumelt meine Seele etwas, ich entspanne mich. Es vergeht eine gefĂŒhlte Ewigkeit, in der wir weiter lĂ€ssig Höhenmeter verlieren. „Strand?“, fragt Walter. Ich nicke und nehme einen krĂ€ftigen Schluck Wasser. Walter fĂ€hrt ein paar Meter freihĂ€ndig und studiert die Karte. Seine Miene lockert sich auf und ich weiß: Sein inneres Survival-Navi hat die Route berechnet. FĂŒr den Rest des Tages hat das Garmin am Lenker frei. Wieder holt uns die Abendsonne ein. Statt Strand reicht es nur zu einem Staubecken westlich von Arakapas.

Westend-Trails

Bild: “150908-0008-gf-zy-p9100185_web.jpg” – Quelle/Source [ÂŽwww.pd-f.de / Gunnar FehlauÂŽ]
In den Staaten wĂŒrde man die Straße Dirt Road nennen, auf der wir in den Akamas Peninsula National Park hineinfahren. Nachdem wir das Lara CafĂ© und die etwas penetranten Wegweiser zum Lara Beach hinter uns gelassen haben, absorbiert uns die Einsamkeit. Die Piste wird zum Forstweg und umso schlechter, je nĂ€her wir dem westlichen Zipfel Zyperns kommen. Auf den letzten Kilometern wird der Weg zum „Doubletrack“. Einmalig: Coole Trails entlang jagen und dabei nebeneinander fahren und sich unterhalten können. Dies und die Landschaft machen die Akamas- Halbinsel zum bisherigen Highlight unserer Reise.
Auf der Ostseite der Halbinsel schlĂ€gt uns dann die mĂ€chtige Pranke des organisierten Massentourismus ohne Vorwarnung ins Gesicht. An der blauen Lagune gibt es einen ersten Parkplatz, der rappelvoll mit Land-Rover-Taxis steht, die die GĂ€ste zwischen Lagune und dem Bad der Aphrodite hin und her chauffieren. Das ist fĂŒr die Touristen bequem und fĂŒr uns die Hölle. Die Landys wirbeln Staub auf, können auf der Piste kaum ausweichen und ihre Fahrer haben uns offensichtlich fĂŒr Freiwild erklĂ€rt.

Aderlass

Die NĂ€he zum Meer hat mir bei meiner Adaption an die Hitze geholfen. Bei Walter ist es genau andersherum: Er wirkt schwer mitgenommen, als wir in der Parkbucht vor der Aphrodite ankommen. Letztere ist eine kleine Grotte mit SĂŒĂŸwasserbecken, in der sich der Legende nach Aphrodite mit ihrem Liebhaber Adonis vergnĂŒgt haben soll. Ich besorge Wasser, Cola und Bier. Walter hĂ€lt sich an diese Reihenfolge. Die GetrĂ€nke-Kombi und ein Mittagsschlaf im Schatten fĂŒllen seine Akkus. Wir mĂ€andern auf kleinen KĂŒstenwegen bis zum Campingplatz in Polis. Ein großer Fehler, wie sich am Abend herausstellen soll. Jener beginnt mit lauschigen Absackern im pittoresken Restaurant, das direkt am Strand liegt. Als wir unsere SchlafsĂ€cke unter den BĂ€umen ausrollen, geraten wir augenblicklich unter Attacke von MĂŒcken. Die Blutsauger maltrĂ€tieren uns die gesamte Nacht. „Ganz Transsylvanien hat dieses Jahr Zypern gebucht“, witzelt Walter am Morgen in einem CafĂ© in Polis, wĂ€hrend ich heftigst meine Arme und Beine kratze.

Der 600-Höhenmeter-Balken

Am Morgen flach die KĂŒstenstraße entlang fahren, das gefĂ€llt uns. DafĂŒr brĂ€uchte man zwar keinen B-plus-Boliden, dafĂŒr wĂ€re ein Rennrad sogar besser. Aber unsere Bikes rollen wie auf Schienen und wie ein Zug ziehen wir durchs Land. Es lĂ€uft, die Kilometer fliegen dahin. Wir passieren Pachiammos und urplötzlich wandelt sich die AtmosphĂ€re. Immer öfter tauchen MilitĂ€rfahrzeuge auf und in den sĂŒdlichen HĂŒgeln sind Wehranlagen zu erkennen. Schließlich stehen wir vor einem Schlagbaum. Soldaten bedeuten uns wortkarg, aber mit einer Eloquenz, die durch die umgehĂ€ngten Maschinengewehre deutlich an Überzeugungskraft gewinnt, dass hier kein Fortkommen ist. Ohne es zu wissen, sind wir in einen Hotspot der Weltgeschichte geradelt. Hier trifft die griechisch dominierte Republik Zypern auf die TĂŒrkische Republik Nordzypern. Und damit das nicht wieder eskaliert, sind UN-Blauhelm-Soldaten in einer Pufferzone stationiert. Sie umranken den alten Ort Erenköy/Kokkina, der nunmehr „nur“ noch eine tĂŒrkische MilitĂ€rexklave ohne ziviles Leben ist. Vor diesem Drohgebilde flĂŒchten wir lieber wieder in die Berge. Der Schlagbaum an der KĂŒstenstraße sorgt nicht nur fĂŒr Unmut in der internationalen Diplomatie, sondern bringt uns auch satte 600 Höhenmeter Umweg ein. Ein knackiger kleiner Passanstieg bis zur ersten Kreuzung, dann biegen wir links ab und fahren östlich der Exklave wieder talwĂ€rts bis zum Meer. Große Politik, herzlichen Dank fĂŒr diese Geschichtsstunde in den Beinen!

Gewachsene Armut statt Krise

Am GrenzĂŒbergang YeƟilırmak fahren wir erstmals auf dieser Tour in den tĂŒrkischen Teil Zyperns. Binnen weniger Meter wandelt sich die AtmosphĂ€re komplett. Kirchen weichen Moscheen und die Mienen der Menschen Ă€ndern sich. Aufrecht, stolz und zufrieden blicken uns die meisten an. Geblieben sind die Beulen der Autos, sichtbarer Leerstand und spĂ€rliche Auslagen in den Shops. Doch hier im tĂŒrkischen Teil wirkt es wie ein langsam gewachsener Lebensstandard, mit dem sich die Menschen arrangiert haben, dessen punktierte VorzĂŒge und Fortschritte sie zu wĂŒrdigen wissen. Ganz anders als im griechischen Teil Zyperns, denn dort hat es in den letzten Jahren einen herben Niedergang des Lebensstandards gegeben. Wir rollen bis nach GĂŒzelyurt, dessen historischer Stadtkern uns beim spĂ€ten zweiten Mittagessen verzĂŒckt. Auf der Fahrt aus der Stadt heraus machen wir Bekanntschaft mit Horden frei streunender Hunde und diese mit unseren SprinterfĂ€higkeiten: Kittel-gleich haben wir uns den ganzen Tag unauffĂ€llig verhalten, um im entscheidenden Moment alle Körner rauszuhauen. Die Waden sind kurz danach alle, aber immerhin nicht von HundezĂ€hnen perforiert.

Nikosia – die geteilte Hauptstadt

Auf unserem sonntĂ€glichen Weg nach Nikosia ĂŒberholen uns auf einer riesigen Einfallstraße erstmals andere Radfahrer. Die velophilen Grußzeichen und Konkurrenzspielchen funktionieren ĂŒber alle kulturellen und sprachlichen Grenzen hinweg. Walter zieht an, ich gehe mit und – was soll ich sagen – das Ortsschild ist meins! Damit hat sich’s dann aber auch schon mit den schönen Seiten von Nikosia. Die suburbane Straße ist von AutowerkstĂ€tten, Bordellen und BrautmodegeschĂ€ften gesĂ€umt. Und je nĂ€her wir dem Zentrum kommen, desto mehr wĂ€hnen wir uns in einer mediterranen Version des Berlins der 1980er-Jahre. Nikosia ist eine geteilte Stadt. Wir sehen mehr Armeepatrouillen als Radfahrer, mehr Maschinengewehre als Kinderwagen und wann immer wir achtlos vom Hauptverkehrsfluss abbiegen, stehen wir unversehens vor der Mauer, die die beiden Teile der Stadt voneinander trennt. Hier, in der nachmittĂ€glichen Hitze, an einem fĂŒr die Weltgeschichte völlig unbedeutenden Septembersonntag, wird mir die Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung klarer als je zuvor. „Walter, ich muss hier weg, dieses Gockelgetue mit scharfer Munition halte ich nicht lĂ€nger aus!“, schreie ich durch den VerkehrslĂ€rm. Wir suchen einen Velo-tauglichen Hinterausgang aus einer Stadt, deren HaupteingĂ€nge verrammelt sind. Alles ist besser als in die MĂŒndung der Grenzerwaffen zu schauen.

Die A-Team-Momente im eigenen Leben

Unsere Flucht aus Nikosia bringt uns auf kleinen Pfaden durch das Mia-Milia-Industriegebiet. Wir ignorieren hier ein Schild, dort einen winkenden FußgĂ€nger, um uns schließlich in der lĂ€ndlichen Einsamkeit wieder wohler zu fĂŒhlen. Mit der Karte und dem Navi manövrieren wir entlang der innerzypriotischen Grenze ostwĂ€rts. Durstig und hungrig gelangen wir ĂŒber staubige Pisten in eine Ortschaft. Die erste Theke wird unsere sein, denke ich mir, oder die erste Tanke, da hat Walter schon einen Freisitz entdeckt. Der Kellner ist verdutzt, als wir in Radklamotten zwei Bier und Kebab bestellen. Wir schieben das auf die ungewohnte Sportoptik und unsere verdreckten Arme und Beine. Kurze Zeit spĂ€ter, von den Speisen fehlt noch jede Spur, fĂ€hrt mit quietschenden Reifen ein MilitĂ€r-Jeep vor. Ihm entspringt die tĂŒrkische Ausgabe von Colonel Lynch aus dem A-Team. Wie von der Tarantel gestochen, rennt er auf unseren Kellner zu. Zwar verstehen wir kein Wort, aber anschließend ist die Rangordnung klargestellt und der Kellner schaut mĂ€chtig zusammengefaltet aus. Er kommt zu uns rĂŒber und bringt nichts als ein „No!“ heraus. Wir verstehen nur Bahnhof und harren des Kebabs. Ein feinerer MilitĂ€rwagen fĂ€hrt vor und ihm entsteigen zwei Angehörige der MilitĂ€rpolizei. Sie kommen direkt auf uns zu: „Where do you come from?“, „How did you get into the military base?“, „Why are you sitting here?“ fragt der GrĂ¶ĂŸere uns in bestem Englisch, aber nur semi-freundlichem Tonfall. Das ist kein Theken-Talk, sondern ein Verhör. Mir schwant Böses. Kein Mensch auf dieser Welt weiß, dass wir hier entlang fahren wollten, dass wir hier sind. Ich schaue mich unauffĂ€llig um. Nur unsere an den Zaun gelehnten RĂ€der zeugen von uns. Doch etwas beruhigt mich: Auf meiner Satteltasche blinkt der Spot-Tracker grĂŒn. Er sendet unsere GPS-Koordinaten. Sollte unser GesprĂ€ch in einem feuchten KellergefĂ€ngnis bei Wasser, altem Brot und Elektroschocks enden, so werden diese Signale der internationalen Diplomatie den Weg weisen. Wir mĂŒssen dann nur durchhalten, bis die Hilfe uns erreicht. „Your passports, please!“, werde ich von Colonel Lynch aus meinen Gedanken geweckt. „Nicht gut“, zischt Walter mir zu. Auch in diesem Moment ticken wir wieder Ă€hnlich. Der MilitĂ€rpolizist lĂ€sst sich unsere PĂ€sse geben und greift zum Mobiltelefon. Sein Mienenspiel in den nĂ€chsten Minuten schwankt zwischen Kellerverlies und Ehrenbankett. Ich spĂŒre weder Hunger noch Durst, bin paralysiert. Er steckt das Handy weg, reicht uns die Ausweise und bedeutet uns, zĂŒgig weiterzufahren. Schnurstracks lassen wir die beiden Biere halbvoll und unbezahlt stehen und schwingen uns auf die RĂ€der. Noch immer beschleunigend nĂ€hern wir uns dem Ausgang der MilitĂ€rbasis und beobachten, wie einfahrende Autos durchsucht und mit Bodenspiegeln kontrolliert werden. Ich hĂ€tte nicht gedacht, dass unsere Bike-Tour eine SicherheitslĂŒcke in der Grenzsicherung aufzeigen könnte.

Großes Finale

So recht einschlafen kann ich an diesem Abend nicht. Walter hat zwar in weiser Voraussicht beim Verproviantieren an der Tankstelle die abendliche Bierration eigenmĂ€chtig und betrĂ€chtlich erhöht. Hilft aber nichts. Die Gedanken im Kopf kreisen wie ein Keirin-Fahrer auf der Bahn. Haben wir heute schlicht eine Menge Schwein gehabt oder haben unsere Ängste eine im Grunde belanglose Situation einfach nur hochgeschaukelt? Ich komme in der Sache zu keiner Entscheidung, komme lange nicht zur Ruhe und gleite irgendwann dann doch in den Schlaf. Dass wir am nĂ€chsten Tag auf dem Weg zum Flughafen an zwei nicht besetzten GrenzĂŒbergĂ€ngen unser GlĂŒck vergeblich versuchen, eine Reifenpanne haben und ich wegen eines entzĂŒndeten Stichs noch kurz in der Notaufnahme vorbeischaue, bevor wir gen Heimat fliegen, verdauen wir irgendwie besser als den nicht einmal servierten Kasernen-Kebab.

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