Warum Pedelec-Tuning verheerende Folgen haben kann

Pedelec-Tuning

Die DEKRA SachverstÀndigen warnen eindringlich: Vor allem die Bremsanlagen sind dem oft nicht gewachsen.

Stuttgart (ots)

  • Bremsscheiben verĂ€ndern ihre Eigenschaften durch Überhitzung
  • Erst schleichende Verschlechterung, dann lebensgefĂ€hrlicher Totalausfall
  • Haftungsrisiko ist – anders als im Originalzustand – nicht versichert

Pedelecs sind auf dem Vormarsch. Im Jahr 2023 war zum ersten Mal mehr als jedes zweite in Deutschland verkaufte Fahrrad mit elektrischer UnterstĂŒtzung versehen. Dass diese nur bis 25 km/h zur VerfĂŒgung steht, scheint viele Besitzer zu stören – Tuning-Kits aus dem Internet versprechen höhere Geschwindigkeiten. Die DEKRA SachverstĂ€ndigen warnen eindringlich: Vor allem die Bremsanlagen sind dem oft nicht gewachsen. “Viele machen sich nicht klar, welche Risiken sie mit dem Tuning eingehen”, sagt David Freibott, Unfallanalytiker bei DEKRA und Experte fĂŒr Pedelec-Manipulationen.

Ein Pedelec mit TretunterstĂŒtzung bis 25 km/h gilt trotz Motor rechtlich als Fahrrad und damit nicht als Kraftfahrzeug. Es braucht deshalb – anders als ein so genanntes S-Pedelec, das bis 45 km/h unterstĂŒtzt – keine eigene Haftpflichtversicherung, um am Straßenverkehr teilnehmen zu dĂŒrfen.

Hier zeigt sich schon das erste Problem des Themas Tuning: Wer mit einem Fahrrad einen Unfall verursacht, ist normalerweise ĂŒber die eigene Privathaftpflichtversicherung abgesichert, was die Haftung gegenĂŒber anderen angeht. “Fahrzeuge wie Mofas, LeichtkraftrĂ€der oder eben S-Pedelecs sind hier aber explizit ausgenommen, denn fĂŒr sie gilt die Versicherungspflicht – sie brauchen ein Versicherungskennzeichen”, erklĂ€rt der Experte. “Das bedeutet: Wenn mit einem getunten Pedelec etwas passiert, steht der Verursacher ohne Versicherung da und haftet fĂŒr angerichtete SchĂ€den im Ernstfall allein.”

Der höhere Verschleiß der Antriebseinheit, so könnte man argumentieren, geht außer dem Besitzer selbst niemanden etwas an. Ebenso die Folgen, die man bei einer Kontrolle zu tragen hat, was das Fahren ohne FĂŒhrerschein oder die fĂŒr S-Pedelecs gĂŒltige niedrigere Promillegrenze angeht. SpĂ€testens, wenn die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer gefĂ€hrdet wird, zieht dieses Argument aber nicht mehr. “Es ist nicht ohne Grund so, dass fĂŒr S-Pedelecs nicht mehr nur die KonformitĂ€tserklĂ€rung des Herstellers fĂŒr eine Zulassung im Straßenverkehr ausreicht”, sagt David Freibott. “Notwendig ist hier eine unabhĂ€ngige PrĂŒfung fĂŒr eine Typgenehmigung oder eine Einzelbetriebserlaubnis. Einer der PrĂŒfpunkte dabei ist nicht umsonst die Bremsanlage.”

Überlastete Bremsanlagen verlieren ihre Wirkung

Auffallend oft stellt der SachverstĂ€ndige bei manipulierten Pedelecs vollkommen ĂŒberlastete Bremsanlagen fest, vor allem an den HinterrĂ€dern. “NatĂŒrlich kann eine normale Pedelec-Scheibenbremse aus 40 km/h an der Ampel abbremsen. Sie kann es auch mal bei 60 km/h. Was sie aber nicht kann, ist dauerhaft aus solchen Geschwindigkeiten abzubremsen”, erklĂ€rt er. “Das ist reine Physik.”

Beim Bremsen wird die Geschwindigkeit abgebaut, indem kinetische Energie in WĂ€rme umgewandelt wird. Dabei können schon vermeintlich kleine VerĂ€nderungen einen großen Unterschied ausmachen. Denn die Bewegungsenergie verĂ€ndert sich bei steigendem Tempo nicht linear, sondern die Geschwindigkeit fließt als Quadrat in die Gleichung ein. Das bedeutet in einer Beispielrechnung: Im Vergleich zu 25 km/h muss beim Bremsen schon aus 36 km/h die doppelte kinetische Energie in WĂ€rme umgewandelt werden.

Wenn aber stĂ€ndig WĂ€rmeenergie ins System kommt, fĂŒr die die Bremsanlage nicht ausgelegt ist, hat das konkrete Folgen: “Ein einmal ĂŒberhitztes Bremssystem ist nachhaltig geschĂ€digt. ZunĂ€chst lĂ€sst die Bremswirkung schleichend nach, was fĂŒr den Fahrer nur schwer erkennbar ist. Bei weiterer Nutzung ohne Reparatur der Bremse ist jedoch schlimmstenfalls der – dann lebensgefĂ€hrliche – Totalausfall zu erwarten”, so der UnfallsachverstĂ€ndige.

Wissenschaftliches Projekt der DEKRA Unfallforschung

Oftmals verĂ€ndern sich durch Überhitzung die Materialeigenschaften der Bremsscheiben. Was das bedeutet, zeigt ein aktuelles wissenschaftliches Projekt der DEKRA Unfallforschung. Dabei wurden unter anderem auf dem Pedelec-PrĂŒfstand der Expertenorganisation unterschiedliche Bremsversuche gefahren – mit ungetuntem bzw. getuntem Fahrzeug sowie mit neuen bzw. einmal thermisch ĂŒberlasteten Bremsscheiben an der Hinterradbremse. Jeweils zehn Normbremsungen hintereinander wurden pro Versuchsreihe durchgefĂŒhrt. Dabei wurde mit dem Pedelec im Originalzustand eine Geschwindigkeit von 25 km/h gefahren, in der getunten Variante waren es 39 km/h – die durchschnittliche Maximalgeschwindigkeit von mehr als 120 manipulierten Pedelecs, die David Freibott in analytischen Gutachten untersucht hatte.

“Unsere Laborversuche haben gezeigt, dass die Bremswirkung mit den ĂŒberhitzten Bremsscheiben zwar noch vorhanden, aber erkennbar schlechter und vor allem in der BremskraftĂŒbertragung auch ungleichmĂ€ĂŸiger war”, bilanziert der Experte. Zudem zeigte sich bei den Versuchen mit dem getunten Pedelec, dass das System insgesamt deutlich höhere Temperaturen erreichte – angesichts der höheren Geschwindigkeiten nicht ĂŒberraschend. “Das Ganze wird zum Teufelskreis: Die ĂŒberlasteten Scheiben können die WĂ€rme nicht mehr so aufnehmen und vor allem nicht mehr so schnell an die Umgebung abgeben, wie sie sollen. Damit ĂŒberhitzt das gesamte System immer hĂ€ufiger, und das hat eben frĂŒher oder spĂ€ter katastrophale Folgen.”

Die verĂ€nderten Materialeigenschaften der thermisch ĂŒberlasteten Bremsscheiben wurden auch durch eine metallurgische Analyse bestĂ€tigt. Diese MaterialverĂ€nderung könnte die Bildung von Rissen begĂŒnstigen.

Auch Rahmen und Anbauteile können ĂŒberlastet werden

Doch nicht nur die Bremsanlage eines Pedelecs wird nach Tuning in der Regel zu stark beansprucht. Auch Rahmen und Anbauteile sind konstruktiv fĂŒr bestimmte Belastungen ausgelegt. Beim manipulierten Pedelec wird die Maximalkraft vom Motor lĂ€nger ausgeĂŒbt, der Rahmen stĂ€rker belastet; höhere Geschwindigkeiten ĂŒber Bodenunebenheiten bedeuten mehr Vibration. “All das kann am Ende zu einem ErmĂŒdungsbruch fĂŒhren, etwa am Rahmen im Bereich der Kettenstrebe, am Lenker oder an der SattelstĂŒtze. Welche Folgen das wĂ€hrend der Fahrt haben kann, braucht man nicht auszufĂŒhren”, so der DEKRA Experte.

Wie hĂ€ufig solche Manipulationen sind, ist schwer zu sagen. Eines der großen deutschsprachigen Online-Pedelec-Foren spricht nach einer Befragung der eigenen Nutzer von einem Anteil zwischen 10 und 15 Prozent. “Ob das hinkommt, ist kaum einzuschĂ€tzen”, so Freibott. “Sicher ist die Nutzerschaft des Forums nicht unbedingt reprĂ€sentativ fĂŒr alle Besitzer von Pedelecs. Viele Ă€ltere Menschen, die kaum im Online-Forum unterwegs sind, stehen vermutlich eher nicht im Verdacht, Tuner zu sein. Andererseits hatte ich auch schon einen Fall, in dem ein 82-JĂ€hriger mit einem manipulierten Fahrzeug unterwegs war.”

Insgesamt nimmt das Tuning aber wohl an Bedeutung zu, berichtet David Freibott aus seiner tÀglichen Arbeit. 2018 hatte er den allerersten Untersuchungsauftrag von der Polizei, in dem es um Pedelec-Manipulation ging; seitdem hat er sich intensiv in das Thema eingearbeitet. Im ersten Jahr hatte er insgesamt etwa zehn FÀlle zu bearbeiten; heute sind es pro Jahr eher 50.

Gerade weil es bei FahrrĂ€dern keine regelmĂ€ĂŸige verpflichtende PrĂŒfung der technischen Sicherheit gibt, appelliert der DEKRA SachverstĂ€ndige an alle Nutzerinnen und Nutzer, ihre Fahrzeuge nur so benutzen, wie es die Hersteller vorgesehen haben. “Alles andere wird allzu leicht zum Lotteriespiel mit der eigenen Sicherheit.”

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