Die Lichtkanten eines Autos entfalten eine ähnliche Wirkung wie die Kurven eines schönen Frauenkörpers. Sie treten besonders betörend hervor, wenn man sie ins rechte Licht rückt.
Die Lichtkanten eines Autos entfalten eine ähnliche Wirkung wie die Kurven eines schönen Frauenkörpers. Sie treten besonders betörend hervor, wenn man sie ins rechte Licht rückt. An diesem Carrera 3.2 Coupé Baujahr 1984 sind sie in einem hellen Türkiston hervorgehoben, ziehen vom vorderen Stoßfänger über die Türschweller bis zur Heckstoßstange und von der A-Säule über die Regenrinne bis hinein in den großen Servierbrett-Spoiler des 231 PS starken G-Modells. Von der dunkelblauen Grundfarbe deutlich abgehoben, wird ihr Farbton nicht nur in den Sternen der Fuchsfelgen, sondern auch im komplett mit Leder ausgeschlagenen Innenraum wiederholt. Ein Effekt, der gestern wie heute niemanden ganz kalt lässt.
Für Tilman Brodbeck, auch mit 74 rank, schlank und rüstig wie der Luftgekühlte, ist es ein Wiedersehen nach 33 Jahren. Denn dieses Auto war von Anfang 1984 bis Sommer 1985 sein Dienstauto. Da war er Vorstandsassistent des damaligen Porsche-Chefs Peter W. Schutz. Der Schwabe ist ein Porsche-Urgestein, fing 1970 in Weissach im Karosserieversuch an und blieb zehn Jahre in Porsches Entwicklungscenter. Als Aerodynamikexperte ersann er in jener Zeit nicht nur den „Bürzel” des Carrera RS 2.7, sondern auch den Bugspoiler des 911. Weil der ab einem gewissen Tempo vorn immer „zu leicht” wurde und daher bei Rennen in Kurven von schnöden Ford Capris düpiert wurde. Neben seinen aerodynamischen Geistesblitzen zeichnete Brodbeck aber noch ein zweites Faible aus: Er individualisierte seine Autos zu einer Zeit, in der das Geschäft mit Veredelungen nicht nur bei Porsche erst in den Kinderschuhen steckte.
Zunächst wurde die Grundfarbe und dann die „Highlight” genannte Türkis-Lackierung aufgetragen
Zwar hatten sie in Zuffenhausen schon 1978 die neue Sonderwunschabteilung eröffnet, doch dauerte es noch bis 1986, ehe die weltweite Nachfrage nach Individual-Programmen zur Gründung von Porsche Exclusive – heute bekannt als Porsche Exclusive Manufaktur – führte. Doch daran war 1980 noch nicht zu denken, als Brodbeck zu vergünstigten Mitarbeiterkonditionen – 1.000 Mark im Monat – einen 911 Turbo 3.3 leaste. Und ihn in der damals noch revolutionär neu anmutenden Farbe Perlweiß-Metallic lackieren ließ.
Als nun 1984 die Wahl eines neuen und diesmal „echten “ Dienstwagens anstand, „wollten wir zusammen mit dem Designstudio unter Leitung von Anatole Lapine etwas ganz Besonderes machen”, erinnert sich Brodbeck. Die Idee: ein in einem dunklen Blaumetallic lackiertes 911 Carrera G-Modell mit türkisfarbenen Akzenten an den Lichtkanten. Brodbeck beauftragte den ihm bekannten Lackierbetrieb Ewald Rempfer aus Bietigheim mit dem nicht alltäglichen Job. „Wir haben das Auto nach der Grundierung erst einmal vom Band genommen und es dann in einem Kastenwagen zum Lackierer gebracht”, beginnt Brodbeck seinen Rückblick. „Dort wurde zunächst die Grundfarbe und dann die von uns „Highlight” genannte Türkis-Lackierung aufgetragen. Der bei Porsche Design auch auf Farben und Materialien spezialisierte Studioingenieur Reinhold Schreiber war mit mir in der Kabine, um dem Lackiermeister genau zu zeigen, wo er mit der Pistole das seitlich auslaufende Türkis freihand auftragen sollte.”
Er individualisierte seine Autos als das Geschäft mit Veredelungen noch in den Kinderschuhen steckte
Danach wurde alles mit Klarlack versiegelt; erst nach zwei Tagen konnte der Elfer wieder zurück ans Fließband geliefert werden, wo bereits die Interieurteile zum Einbau bereitstanden. Darunter die im identischen Türkiston eingefärbten Veloursteppiche von Mapotex aus Unterriexingen mit Lederkedern (für Innen- und vorderen Kofferraum) und die komplett von SC Schäfer aus Würzburg mit Leder verkleideten Interieurteile. Dabei wurde nichts ausgespart – von der Hutablage über den damals im 911 eingehängten Spannhimmel und die Sonnenblenden bis hin zu den Einfassungen der Drehschalter und Drucktasten. Alles zurechtgeschnitten aus papierdünnen und farblich auf die Highlight-Akzente abgestimmten Rindshäuten.
„Die Recaro-Sitze waren die damals größten im Programm, die Seitenwangen ließen sich schon per Luft aufblasen “, sagt Brodbeck, der das Auto noch etwas länger fuhr als die damals bei Porsche üblichen zwölf Monate. „Er war überall ein Hingucker, denn das Türkis leuchtete wie verrückt. Bei meiner ersten Fahrt Richtung Füssen stand ich an der Grenze in der Schlange, und fast jeder, der entgegenkam, hat geguckt.” Auch bei Fahrten zum Skilaufen am Stilfser Joch hat es laut Brodbeck „Bella macchina”-Kommentare gehagelt. „Und bei der Rückfahrt bergab war der Carrera immer der Einzige, bei dem die Bremsen nicht überhitzten.”
Der Wagen wurde bei Porsche Classic in Freiberg gründlich überholt
Während Tilman Brodbeck nach seiner Zeit als Assistent von insgesamt fünf Porsche-CEOs als neuer Leiter von Porsche Exclusive hauptamtlich das machen konnte, was er zuvor eher als Hobby nebenbei betrieben hatte, ging sein zuvor im Werk aufbereiteter Dienstwagen nach Schweden. Mit gut 40.000 Kilometern auf der Uhr wurde er dort am 10. Juli 1986 neu zugelassen. 31 Jahre verblieb er dann in Skandinavien, wo zwei Besitzer rund 60.000 weitere Kilometer mit ihm abspulten. 2017 entdeckte dann Porsche-Sammler Ronny Pannhorst aus Bielefeld das Auto, ohne dass es ein Fall von „Liebe auf den ersten Blick” war. Erst ein Anruf bei seinem Freund Frank Troche, ebenfalls Porsche-Insider und -Sammler, stimmte ihn um. Denn Troche hatte das Auto schon als 17-Jähriger erlebt. „Mein Vater, der für Porsche als Zulieferer für technische Kunststoffe tätig war, war mit Tilman Brodbeck befreundet, und so kam es, dass uns Herr Brodbeck mit dem Auto gelegentlich in Lauf bei Nürnberg besuchte”, erinnert sich Troche. Und riet Pannhorst: „Kauf das Auto, das ist einmalig und hat eine tolle Geschichte.”
Ehe der glamouröse Dienstwagen aber in Ostwestfalen seine neue Garage beziehen konnte, wurde er bei Porsche Classic in Freiberg noch einmal gründlich überholt. Die wichtigsten Arbeiten, um das Auto wieder „funktionstüchtig “ zu machen, umfassten den Tausch aller Flüssigkeiten und Filter, eine komplette Vermessung inklusive Einstellung der korrekten Höhe, die Erneuerung der Bremsschläuche und anderer Verbindungen, einen Check der Elektrik und den Austausch diverser Dichtungen, die mit der Zeit spröde geworden waren. Das Leder indes war auch nach über 30 Jahren noch immer in einem so exzellenten Zustand, dass es nur einmal kurz gereinigt werden musste.
Es ist ein Wiedersehen nach 33 Jahren
„Aufgrund des hohen Alters des Vorbesitzers stand der Wagen die letzten Jahre. Der gute Mann hatte sogar Korken zwischen die Wischer gemacht, damit sie nicht auf der Scheibe aufliegen”, berichtet Pannhorst, der 2013 im denkmalgeschützten Bielefelder Lenkwerk sein auf luftgekühlte Elfer spezialisiertes Unternehmen gründete. „Die Reifen vom Typ Bridgestone SF 350 stammen von 1991 und waren noch in so gutem Zustand, dass ich sie noch draufgelassen habe.”
Doch nicht nur die Reifen, auch das übrige Auto präsentiert sich heute fast wie neu. Was den Ästheten Tilman Brodbeck, der früher nach jeder längeren Fahrt erst einmal alle toten Insekten auf der Karosserie entfernte, um Lackschäden vorzubeugen, besonders beeindruckt. „Und dieses Türkis begeistert bis heute” schwärmt der Mann, der knapp 40 Jahre „beim Porsche schaffte” und in seiner Zeit als Chef von Porsche Exclusive so einmalige Projekte wie einen Porsche für Jil Sander oder ein komplett orangefarbenes 911 Turbo Cabriolet für den Schweizer Möbeldesigner Carlo Rampazzi auf den Weg brachte. Und einen Dienstwagen fuhr, wie es ihn davor und danach zumindest bei Porsche nie mehr gab.
Technische Daten
Porsche 911 Carrera 3.2
Motor: Sechszylinder-Boxer
Hubraum: 3.164 cm3
Bohrung x Hub: 95 x 74,4 mm
Verdichtung: 10,3:1
Maximale Leistung: 170 kW (231 PS)
Kraftübertragung: 5-Gang-Schaltgetriebe mit Sperrdifferenzial
Leergewicht: 1.210 kg